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Entnazifizierung und NS-Vergangenheit

| Geschichten, Ausstellung | | Nachkriegszeit

Die auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 beschlossene Entnazifizierung war ein wesentliches Ziel der Siegermächte. Sie lag in der amerikanischen Besatzungszone bis zum Frühjahr 1946 in der Verantwortung der Militärregierung. Im Rahmen der Entnazifizierung sollten nicht nur die Erinnerungen an den Nationalsozialismus beseitigt werden, sondern auch die Gesellschaft personell „gesäubert“ werden.

Zu Beginn wurden ehemalige Nationalsozialisten in leitenden Positionen im öffentlichen Dienst und der Wirtschaft entlassen. Laut eines Befehls der Militärregierung vom August 1945 sollten alle Mitglieder der NSDAP, die vor dem 1. Mai 1937 in die Partei eingetreten waren, entlassen werden. Bis Ende September 1945 wurden insgesamt 113 Beschäftigte der Stadt Fulda (Beamte, Angestellte, Lehrer und Arbeiter) entlassen.  Die „Special Branch“-Abteilung der US-Militärregierung war für die Durchführung der Entnazifizierung und Umsetzung der Entlassungen zuständig.

Ab dem Jahr 1946 entschieden in der amerikanischen Besatzungszone Spruchkammern, die mit deutschen Juristen und Laien besetzt waren, über die Schuld der ehemaligen NSDAP-Mitglieder. Am 23. April 1946 fand die feierliche Einsetzung der Spruchkammern für die Stadt und den Landkreis Fulda statt.

Die Entnazifizierung von Fridolin Zint

Fridolin Zint wurde 1907 in Oberdresselndorf geboren. Dort besuchte er von 1913 bis 1921 die evangelische Volksschule und anschließend bis 1926 die Wiesenbauschule in Siegen. Ab 1936 war er als Kulturbautechniker bis zu seiner Einberufung in die Wehrmacht beim Wasserwirtschaftsamt in Fulda angestellt.

1933 bis 1934 trat er kurzzeitig der SA bei und war ab Mai 1937 NSDAP-Mitglied. Im Juli 1945 kehrte Fridolin Zint aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück. Da er ein ehemaliges Mitglied der NSDAP war, wurde er vom Arbeitsamt Fulda auf Betreiben der Amerikaner am 24. November 1945 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Das Arbeitsamt verpflichtete ihn als Hilfsarbeiter für das Stadtbauamt Fulda.

Entlassung und Wiedereinstellung

Aufgrund seiner technischen Spezialisierung und Erfahrung genehmigte die Militärregierung jedoch bereits im Januar 1946 seine Wiedereinstellung als Regierungsbauinspektor beim Wasserwirtschaftsamt in Fulda. Von 1966 bis 1972 arbeitete Fridolin Zint beim Wasserwirtschaftsamt in Darmstadt. Er starb am 24. Juni 1985 in Fulda. Im Zeitzeugeninterview, das hier  in Ausschnitten abrufbar ist, berichtet der Sohn von Fridolin Zint, Joachim Zint (*1937), über die Entnazifizierung seines Vaters.

Die Dokumente von Fridolin Zint, welche als Leihgabe für die Ausstellung „Als die Demokratie zurückkam“ im Vonderau Museum zur Verfügung gestellt wurden, verdeutlichen auch den großen administrativen Aufwand der Entnazifizierung. Nach dem sogenannten Befreiungsgesetz vom 5. März 1946 wurden alle Deutschen über 18 Jahren in der amerikanischen Besatzungszone verpflichtet, einen umfangreichen Meldebogen auszufüllen, der 131 Fragen umfasste.

Im Rahmen seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und der Wiedereinstellung füllte auch Fridolin Zint einen Fragebogen und einen Meldebogen aus.

"Mitläufer"

In diesem Dokument musste sehr detailliert Auskunft über Mitgliedschaften in NS-Organisationen und über die Dienstzeit bei der Wehrmacht gegeben werden.

Nach der Auswertung der einzelnen Meldebögen wurden die betroffenen Personen in sechs Gruppen eingeteilt: Nicht betroffen, Entlastete, Mitläufer, Minderbelastete, Belastete und Hauptschuldige.

Im Entnazifizierungsverfahren wurde Fridolin Zint von der Spruchkammer als „Mitläufer“ eingestuft.

 

Sühnemaßnahmen

Im April 1948 erhielt Fridolin Zint den Sühnebescheid des hessischen Ministers für politische Befreiung, der mit der Zahlung eines „Sühnegeldes“ in Höhe von 400 Reichsmark verbunden war. Weitere Sühnemaßnahmen, wie etwa Haft in einem Arbeitslager, Berufsverbot oder Vermögenseinzug, waren vom jeweiligen Grad der Belastung abhängig. Die Auswertung des Meldebogens war zudem entscheidend für das Wahlrecht, den Arbeitgeber sowie die Ausgabe von Lebensmittelkarten.

Bis zur Auflösung der Spruchkammern im Herbst 1948 wurden in Hessen 57 % der Betroffenen als Mitläufer eingestuft. In Fulda sind nur zwei Personen als Hauptschuldige verurteilt worden. Vor allem die politisch verantwortlichen Personen für die NS-Verbrechen wurden im Laufe der Entnazifizierungsverfahren häufig entlastet und durch die Berufungskammern herabgestuft wie im Fall des Fuldaer Oberbürgermeisters Franz Danzebrink und des Bürgermeisters sowie NSDAP-Kreisleiters Karl Ehser.

Nicht betroffen

Demgegenüber erhielten unbelastete Personen nach ihrer Überprüfung eine Bescheinigung vom Großhessischen Staatsministerium. Laut der Bescheinigung vom 26. März 1947 war Margot Burschel aufgrund ihrer Angaben im Meldebogen nicht vom Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 betroffen und somit entlastet.

Verwendete Quellen und Literatur:

  • Ausstellung „Als die Demokratie zurückkam – 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda“ im Vonderau Museum Fulda (2021).
  • Fuldaer Volkszeitung, 1946.
  • Leihgaben von Joachim Zint
  • Sagan, Günter: Besatzungsjahre (1945-1949), in: Fuldaer Geschichtsverein (Hg.): Geschichte   der Stadt Fulda. Von der fürstlichen Residenz zum hessischen Sonderstatus, Bd. 2, Fulda 2008, S. 205-238.
  • Sagan, Günter: Die frühe Nachkriegszeit in der Region Fulda. Die Jahre 1945 und 1946, Petersberg 2015.
  • Schuster, Armin: Die Entnazifizierung in Hessen 1945-1954. Vergangenheitspolitik in der Nachkriegszeit, Wiesbaden 1999.
  • Stasch, Gregor (Hg.): „Alles für Fulda!“: Aspekte der Kommunalpolitik 1946-2006, Petersberg 2006.
  • Stadtarchiv Fulda (6/477, 6/1160, IIIa 23-2)
  • Verse, Frank (Hg.): Als die Demokratie zurückkam. 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda. Begleitband zur Ausstellung, Fulda 2021.